Das Thema Partnerschaft beschäftigt mich sehr, da ich nach einigen Beziehungserfahrungen an einem Punkt angekommen bin, in dem ich alles bisher erlernte -mein Weltbild von Beziehung- ernsthaft in Frage stelle. Zumal ich auch kaum noch Paare kenne, die zufrieden mehrere Jahrzehnte zusammen sind und die Anzahl an Singles für sich alleine spricht. Was ist los, warum fällt es uns so schwer, eine erfüllende und langfristige Beziehung zu (er-) leben?
Einer der Hauptursachen liegt für mich in der "Romantisierung" unserer Partnerschaften. Walt Disney lässt grüßen! Auch wenn es zunehmend verschiedene Ideen von Partnerschaften gibt (zum Glück!), dominiert meines Erachtens nach wie vor das "klassische" Modell mit seinen quasi schon gesetzten Regeln und Erwartungen.
Zunächst mal klingt die Beziehungsthematik doch recht simpel. Da sind zwei Menschen, verstehen und verlieben sich, verfolgen im Idealfall ähnliche Ziele im Leben, ziehen zusammen, gründen eine Familie und heiraten vielleicht. Natürlich gibt es da noch einiges dazwischen, doch ich denke du kannst gut nachvollziehen, welche Ideen und Vorstellungen ich hier mit "Romantisierung" meine.
Soweit, so gut. Zunächst mal. Doch wie ist das mit der Liebe im Zeitverlauf, was geschieht plötzlich mit der Beziehung, dass wir vor einem gefühlten Scherbenhaufen stehen und Wege wieder auseinandergehen, obwohl doch die "Liebes-Basis" so vermeintlich gut und besonders begonnen hat?
Es beginnt auf Basis von Liebe, bis unsere Erwartungen und Bedingungen die Macht ergreifen. Grundlegender Irrtum: Liebe ist nicht Beziehung
Hier fängt bereits der zentrale Irrtum an, den es unbedingt auseinander zu halten gilt: Liebe ist nämlich nicht Beziehung. Liebe ist ein Gefühls-Konstrukt, d.h. egal wen du fragst, jeder wird dir ein anderes Verständnis & Erleben von Liebe beschreiben und daher hat jeder von uns seine eigene Empfindung von Liebe. Beziehung wiederrum ist die Erwartungshaltung, die Ideen und Vorstellungen, die wir an Partnerschaften hegen.
Liebe stellt keine Bedingungen. Keiner möchte etwas vom anderen. Beziehung hingegen verlangt etwas vom anderen. Wir erwarten.
Insbesondere unsere Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse in Beziehungen sind es, die unsere Gedanken und Emotionen in einer Partnerschaft steuern, was grundsätzlich wichtig ist, denn hier spiegeln sich unsere Werte und Bedürfnisse wider. Die Frage ist nur, wie bewusst wir uns darüber sind. Dabei spielen zwei Facetten eine elementare Rolle: Unsere Individualität und gesellschaftliche Einflüsse.
Individualität
Jeder Mensch ist in seinem Sein einzigartig. Niemand sonst auf dieser Erde hat dieselbe Geschichte wie du. Dein Wesen in Form von Charakter und Persönlichkeit, deine Erfahrungen sowie Prägungen, besonders deren innere Verknüpfungen in Form deiner Gedanken und Emotionen, sowie deine Freude und Schmerz, sind in dieser jeweiligen Kombination beispiellos. Dein gesamtes Erleben und Erfahren, basiert auf dem bisher Geschehenem und Erlerntem, insbesondere darauf, wie du Situationen innerlich abgespeichert oder verarbeitet hast. Diese Prägung beginnt bereits im Bauch deiner Mutter, deine Kindheit, Erziehung, soziales Umfeld usw. Wir sind permanent von Reizen und somit potentieller Erfahrungen umgeben. Und aus diesen Erfahrungen haben sich bestimmte Muster eingeprägt. Beispiel: Wenn du als Kind besonders nur dann gesehen und mit Aufmerksamkeit umsorgt wurdest, wenn du krank warst oder es dir nicht gut ging, hat dein Unterbewusstsein gelernt "Wenn es mir nicht gut geht, werde ich mehr geliebt". Also versuchst du im Erwachsenendasein alles daran zu setzen, dass der andere dich leidend erlebt, da du dann Hilfe (=Aufmerksamkeit) erhältst. Es gibt unzählige dieser Muster in uns, die wir im Verlauf unseres Lebens abgespeichert haben. Dass diese alten Ideen jedoch nichts mehr mit deinem heutigen Dasein als erwachsender Mensch zu tun haben, spürst du, wenn du dir dessen bewusst wirst.
Anders ausgedrückt: Deine Vergangenheit und Persönlichkeit dominiert heute (un-) bewusst dein Denken, Fühlen und Verhalten. Und das hat enorme Auswirkungen auf unsere Beziehungen und kann ungesunde Dynamiken freisetzen.
Gesellschaftliche Einflüsse
Die zweite Komponente die unser Wesen grundlegend prägt, sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen wir aufwachsen. Durch unsere Kultur, Familie, Freunde, Politik (usw.) werden uns unterbewusst unzählige Normen, Regeln und ein Wertesystem vorgelebt, sodass wir dieses als "richtig" erachten. In Beziehungsfragen beispielsweise bedeutet das (um einen Teil der gelernten Erwartungen darzustellen, die gerne auch unser Umfeld formuliert):
- ein Kind entstehen sollte ("Kinder gehören einfach dazu, wann ist es endlich bei euch soweit?")
- die Ehe nach ein paar Jahren Beziehung vorausgesetzt wird ("Wann heiratet ihr denn endlich?")
- dein Leben ohne Partner/in nicht vollständig ist ("Oh, bist du immer noch Single?")
Einerseits ist das positiv, denn diese Rahmenbedingungen organisieren unser Zusammenleben und Miteinander. Diese Konventionen sind da, um gleichzeitig viele Menschen in einem gewissen Maße zum gesellschaftlichen Funktionieren zu bewegen, indem wir durch das Einhalten und Orientieren an diesen Regeln, ein Teil einer Gemeinschaft sind. Zudem verleiht dies auch eine Art Sicherheit, da gewisse Strukturen vorgegeben sind ohne dass wir diese weiter hinterfragen müssen. Dass was alle tun, ist richtig (um es einmal überspitzt zu formulieren) und der Mensch lebt nun mal (un-) bewusst nach Strukturen.
Nun ist grundsätzlich an gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nichts zu kritisieren, doch wie bewerten wir sie in dieser dynamischen Zeit, ergänzt um das privilegierte Leben, was wir insbesondere in den westlichen Nationen heute führen dürfen? Die Menschheit war noch nie so hochentwickelt, bezogen auf Wissenschaft & Technik, wie sie es zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist. Das stellt uns vor neue Herausforderungen im Zusammenleben, denn gerade unsere Generation kennt keine Kriege, Armut oder eine übermächtige Kirche. Wir sind in Freiheit und politischem Frieden aufgewachsen, sodass uns grundsätzlich alle Türen offen stehen. Doch wir sind auch eine Generation der Wissenschaft, wir glauben überwiegend an die Dinge, die wir mit dem Verstand erklären können. Doch ehrlich, lässt sich alles rational begründen? Die Freiheit in der wir leben, ermöglicht unser geistiges, persönliches oder spirituelles Wachstum und damit eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst. Ich erlebe es als eine Art Rückbesinnung zum eigenen Wesenskern: Wer bin ich, was bedeutet Glück für mich und wie möchte ich mein Leben gestalten? Und passen die gelernten Werte noch zu meinem eigenen Wertesystem? Ist mir z.B. Tradition oder Status vielleicht doch nicht so wichtig, wie ich es gelernt habe?
Insbesondere der letzte Aspekt führt dazu, dass wir bestehende Systeme, die Art und Weise des Zusammenlebens und eben auch unsere Beziehungen zunehmend in Frage stellen. Wie passen die gelernten Leitbilder in Sachen Liebesbeziehung noch mit dem gleichzeitig stattfindenden innerlichen Wachstumsprozess zusammen? Wenn wir uns jetzt einmal folgendes vor Augen führen: Da sind zwei Menschen, die völlig unterschiedlich und geprägt von ihren Mustern sind, sollen jedoch eine gesellschaftlich vorgegebene Art von Beziehung führen? Dass hier Konflikte vorprogrammiert sind, verwundert an der Stelle nicht weiter. Was können wir also konkret tun?
Die Chance: Den gemeinsamen und einzigartigen Beziehungsraum entdecken
Betrachtet auf die Beziehungsebene, entsteht also zwischen zwei Menschen eine Art eigener und einzigartiger Beziehungsraum. Wir entscheiden, wie wir in definieren und gestalten. Darin liegt eine riesen Chance. Doch um hier bewusste Entscheidungen treffen zu können, benötigt es besonders Mut und Geduld. Zunächst mal zu erkennen, dass Liebe da ist, sie jedoch überschattet wird von Erwartungen und Bedingungen an unsere Partner:in, die durch unsere Idee von Beziehung -wie eben der "Romantisierung"- entstanden ist.
Der Schlüssel liegt in Ehrlichkeit und Klarheit
Inzwischen habe ich verstanden, dass ich ehemalige Partnerschaften aus einer großteils unbewussten Haltung heraus gestaltet habe. Es ging viel um meine Bedürfnisse und Erwartungen, die quasi innerlich die Fäden gehalten und mein Verhalten gesteuert haben. Stets mit dem Ziel, meine Wünsche zu erfüllen (lassen). Doch je besser ich mich kenne und vor allem verstehe, desto bewusster kann ich auch entscheiden, was ich in eine Beziehung trage und was nicht. Denn Wünsche zu haben, ist per se nicht verkehrt: Es wird nur unangenehm, wenn beide Partner anfangen ihre Bedürfnisse gegenseitig zu stillen und diese Prozesse blind ablaufen.
2 Fragen, die dir zu mehr Klarheit verhelfen können
- Was sind meine "alten" Muster, die mich bislang in Beziehungen gesteuert haben? Auf welche Weise habe ich versucht Liebe zu bekommen?
- Passen meine eigenen Werte zu dem, was gesellschaftlich von mir erwartet wird? Was sind eigentlich meine Werte? Und ist mein Freier Wille auch wirklich mein eigener?
Es geht hier nicht darum, direkt eine Lösung auf deine Fragen zu finden. Es reicht schon, die Bewusstheit darüber zu gewinnen. Denn sobald die Themen bewusst werden, entsteht zunehmend mehr Raum für die individuelle Beziehungsrealität. Es kann Raum für Freiheit entstehen, um unsere Beziehungen ohne alten persönlichen Ballast, Erwartungen von Außen zu gestalten, ebenso bisherigen Ideen und Vorstellungen von Beziehung zu hinterfragen, damit du für dich neu entscheiden kannst. Das ist Freiheit und schafft Raum für Liebe.
Das möchte ich am Beispiel Eifersucht einmal veranschaulichen: Ich habe zum Beispiel gelernt, dass es nicht in Ordnung ist, wenn mein Partner mit anderen Frauen Kontakt hat. Also war ich grundsätzlich eifersüchtig, sobald der Name einer Frau gefallen ist. Doch warum eigentlich? Innerlich habe ich mir immer gesagt „Das macht man doch nicht“ und „ich bin ihm nicht gut genug“. Doch fühle ich denn auch ehrlich so, oder glaube ich nur, so fühlen zu müssen? Darum geht es, sich erstmal ehrlich seine Trigger-Punkte anzuschauen. In meinem Fall habe ich verstanden, dass meine Eifersucht unbegründet war und unnötiges Drama aus meinem Ego verursacht hat. Denn wenn ich doch dem Partner: in und mir selbst vertraue, brauche ich nicht auf die gelernten und anerzogenen Verhaltensweisen á la „ so macht man das nicht“ hören.
Es geht dann nicht mehr alleine um DICH, sondern um EUCH
Denn sobald du zunehmend mehr Klarheit über dich selbst hast, wirst du immer mehr Ruhe in dir finden. Und dieser Prozess erlaubt es, mehr aus der Liebe heraus, deine Partnerschaft zu gestalten. Ihr könnt nun eure eigenen Rahmenbedingungen und Regeln setzen, indem ihr euch ehrlich die Frage beantwortet wer ihr seid, was eure gemeinsamen Ziele und Visionen sind. Es geht also nicht darum, was wer im Außen denkt, sondern vielmehr darum, euch selbst in erster Linie mit Ehrlichkeit zu begegnen. Was braucht und fühlt der andere und was brauche und fühle ich? Wenn ihr euch gegenseitig kennt, schafft ihr die Grundlage für Verstehen und somit die Möglichkeit auf Basis von Liebe -und eben nicht rein auf Wünsche- aufeinander einzugehen.
Es kann durchaus sein, dass du an der ein oder andere Stelle merken wirst, dass du das vielleicht bisher Gelernte über den Haufen werfen wirst und das Unsicherheit auslösen kann. Doch es lohnt sich, um Verbindung und erwartungsfreie Liebe erfahren zu dürfen. Und wenn wir ehrlich sind, ist doch Verbindung und Liebe genau das, wonach sich jedes menschliche Wesen im tiefsten Kern sehnt. Geht los und findet eure Vision von Partnerschaft.
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